Wenn der Schmerz bewusst wieder ausgelöst wird

Nebel über den Weiden hält zum Innehalten ein


Monotraumata sind in sich abgeschlossen.

Ist die Belastung relativ kurz her und war sie in sich abgeschlossen, wurde aber nicht in den ersten Wochen nach dem Erleben verarbeitet, dann sprechen wir von einer Monotraumatisierung. Hast du z.B. einen Unfall, Überfall oder ein Erdbeben erlebt, leidest du möglicherweise unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Du bist innerlich unruhig, Einschlafen und Durchschlafen fällt dir schwer. Immer wieder stehen Bilder vor deinem inneren Auge auf. Oder aber du hast plötzlich Gefühle, die zu deiner jetzigen Situation überhaupt nicht passen. Oder dir wird auf einmal übel, wenn du einen bestimmten Geruch wahrnimmst, der im Zusammenhang mit dem Erlebnis steht.

Wenn du in die Situation musst, in der das Schreckliche passiert ist, möchtest du es am liebsten nicht tun. Du willst nicht in das Auto steigen, mit dem du einen schweren Unfall hattest, oder in die Einkaufshalle gehen, in der du überfallen wurdest. Schweiß bricht aus und du bekommst totale Angst. Möglicherweise bist du auch stocksauer auf die Person, die dir übel mitgespielt hat.

Die aufgezählten Symptome werden durch Trigger ausgelöst, die dich an die Belastungssituation erinnern. Trigger sind Reize, die dich aus dem Hier und Jetzt zurück in die furchtbare Vergangenheit bringen. Aber es fühlt sich so an, als würde es gerade jetzt passieren. Die oben beschriebenen verschiedenen Symptome werden unter dem Begriff „Intrusionen“ oder „Flashbacks“ zusammengefasst. Dabei hast du das Gefühl, wieder ganz in der Situation zu sein, in der das Schreckliche passiert ist.

Was sind dagegen Komplextraumata oder Entwicklungstraumata?

Hast du dagegen eine Form lang anhaltender Gewalt in der Kindheit oder später erlebt und dazu Strategien des Überlebens entwickelt, sprechen wir von einer Komplextraumatisierung. Eine Komplextraumatisierung, die in der Kindheit dazu führte, dass du in deiner gesunden Entwicklung gestört wurdest, nennen wir Entwicklungstrauma.

Du hast gelernt zu überleben und dadurch mit den schlimmen Situationen umzugehen. Deine Traumatisierung ist chronisch und ein Teil deines Körpers ist ständig damit beschäftigt, ein nach außen hin möglichst normales Leben zu führen, während im Inneren Chaos herrscht. Das kostet enorm viel Energie, die du für dein Leben nach außen nicht übrig hast.

Du fühlst dich vom Leben abgeschnitten, hast den Bezug zu dir selbst und vielleicht auch zu anderen in gesunder Form verloren. Dein Gefühl sagt dir, dass du anders bist als andere. Du überschreitest ständig deine Grenzen, um dich zu spüren. Gleichzeitig ist ein Teil von dir häufig erschöpft. Trigger bringen auch dich immer wieder zurück in altes Erleben, aber du hast dich so daran gewöhnt, dass du manchmal gar nicht merkst, dass das Gefühl, das körperliche Symptom, der Gedanke oder das Bild, das sich gerade ins Leben schleicht, nichts mit der jetzigen Situation zu tun hat. Auch hier sprechen wir von Flashbacks.

Was passiert aber bei einer Retraumatisierung?

Eine Retraumatisierung ist eine bewusste Hinführung in vergangenes Erleben, bei dem du in der Regel von jemand anderem hingeschubst wirst. Dies kann dadurch passieren, dass jemand ganz genau von dir wissen will, was passiert ist und nach Einzelheiten fragt. Oder es geschieht, indem jemand dich bewusst mit einem oder mehreren deiner Trigger konfrontiert.

Die Symptome sind denen eines Flashbacks ähnlich; du fühlst dich wieder ganz in der Situation, mit dem Unterschied, dass jemand dich dazu veranlasst hat. Daher erlebst du die Situation wieder total hilflos und ohnmächtig und das Notfallprogramm im Gehirn schaltet sich sofort ein. Obwohl du es nicht wolltest, hat dich jemand dazu gebracht, wieder in deinen Überlebensmodus zu wechseln. Er oder sie ist dir gegenüber zum Täter geworden.

Dies ist bei Flashbacks anders, da sie einfach und unkontrolliert durch einen Trigger ausgelöst werden und dich dadurch in das alte Schreckliche zurückversetzen.

Wenn geliebte Menschen zu viel oder zu genau etwas wissen wollen

Die alltäglichste Form der Retraumatisierung ist vielleicht der emphatische Freund, Nachbar oder das Elternteil, das ganz genau wissen will, was du Schreckliches erlebt hast. Statt deine Grenzen zu wahren und zu akzeptieren, wirst du dazu aufgefordert, dich mit deinem Erlebten auseinanderzusetzen. Du wirst sozusagen davon traumatisiert, dass du dir dein Trauma noch einmal anschauen sollst.

Retraumatisierung geschieht im öffentlichen Raum

Der interessierte Zuschauer ist häufiger Zeuge von Retraumatisierungen im Fernsehen: Da wird das Gewalt-, Flut- oder Flüchtlingsopfer genau danach befragt, was es erlebt hat. Statt Sicherheit anzubieten und dem Körper zu erlauben, zur Ruhe zu kommen, wird das Opfer dazu gedrängt, sich der furchtbaren Situation wieder zu stellen. In der Regel ist es so durcheinander, das es sich gar nicht wehren kann. Es kann auch nicht unterscheiden, ob das reden darüber ihm jetzt gut tut oder eher nicht.

„Wie war es auf dem Boot, wer ist alles ertrunken und wie ging es Ihnen dabei?“ So wird der vielleicht erste Eindruck der Sicherheit verknüpft mit dem erneuten Gewalterleben verbunden mit dem Gefühl absoluter Lebensgefahr. Das kann später die Verarbeitung durchaus erschweren.

Retraumatisierung durch Institutionen

Es gibt Situationen, wo es schwieriger ist, eine Retraumatisierung zu umgehen, aber es geht auch hier: Im Krankenhaus nach einer Vergewaltigung oder einer anderen Form erlebter Gewalt, bei der Polizei oder vor Gericht. Bei diesen Institutionen gibt es aber inzwischen geschultes Personal, oder du lässt dich von einer Opferhilfe oder einem Traumafachberater bei einer Befragung unterstützen. Trittst du als Nebenkläger vor Gericht auf, solltest du zuvor mit dem Mitarbeiter einer Opferhilfe oder einem anderen Traumafachberater sprechen, wie du Retraumatiserungen vermeiden kannst. Du wirst die Tat aus dem Mund des Täters hören, der nicht unbedingt einsichtig geworden sein muss. Auch das Urteil muss nicht so ausfallen, wie du es dir erhofft hast. All das gilt es im Vorhinein zu bedenken, um sich dann gut gewappnet in den Gerichtssaal zu begeben.

Kann ich bei einer Therapie retraumatisiert werden?

Auch bei einer Therapie können Retraumatisierungen vorkommen. Im Gegensatz zu Flashbacks, die niemand verhindern kann, sind Retraumtisierungen aber völlig unnötig – im Gegenteil, du kannst dein Trauma durch ein Wiedererleben nicht verarbeiten. Sollte dein Therapeut also Dinge sehr genau von dir wissen wollen oder wahrt er deine Grenzen nicht, dann trau dich zu sagen, dass du darüber nicht sprechen willst.

Früher haben wir geglaubt, dass du dein Trauma dadurch verarbeitest, indem du es noch einmal erlebst. Heute wissen wir, dass das keine gute Idee ist. Wenn du wieder ganz überschwemmt wirst von den Bildern, Gefühlen, Gerüchen oder Geräuschen, dann kannst du nicht gut mit dem Hier und Jetzt verknüpft bleiben. Das brauchst du aber zwingend, um überhaupt verarbeiten zu können.

Du kannst dein Trauma nur verarbeiten, wenn du dich in Sicherheit fühlst, wenn dein äußeres Hier und Jetzt sicher ist und du nach und nach auch innerlich wieder Sicherheit erlangst. Vielleicht fühlst du dich auch das erste Mal sicher, wenn ein Therapeut so mit dir arbeitet und dir hilft, stabil zu werden. Stabil zu werden heißt schwingungsfähig zu sein und dich selbst immer wieder beruhigen oder aufraffen zu können. Bist du gut mit dem Hier und Jetzt verbunden und fühlst dich sicher, dann kannst du in deinem Tempo dich den furchtbaren Erlebnissen so nähern, dass du es gut im Hier und Jetzt aushalten kannst. Nur wenn dein Therapeut dich darin unterstützt, altes Erleben im Hier und Jetzt ohne das Erleben einer Traumatisierung einzuordnen, dann wirst du auch deine Traumata verarbeiten.

Dr. Sabine Schröder ist mehr als 15 Jahren Traumatherapeutin (HeilPrG), Seelsorgerin und Coach. Die studierte Lehrerin und promovierte Theologin arbeitet im Havelland und bietet neben zahlreichen Weiterbildungen und Kursen vor allem Traumatherapie und Coaching mit Pferden an.

Die körperorientierte Arbeit mit ihren Pferden hilft traumatisierten Jugendlichen und Erwachsenen, ein Gefühl von Sicherheit aufzubauen und sich im Hier und Jetzt zu verankern. Durch den starken Außenkontakt mit dem Co-Therapeuten Pferd können Retraumtisierungen nahezu ganz verhindert werden.

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